Branchen Sozialwirtschaft

2. ZukunftsKongress „Sozialwirtschaft managen“

Das diesjährige Motto lautete Solidarität

Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr haben das Evangelische Johanneswerk, Curacon und die Ecclesia Gruppe am 5. und 6. Juni 2024 in Essen den 2. ZukunftsKongress „Sozialwirtschaft managen“ veranstaltet. Rund 170 Entscheider von Pflegediensten, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Betreuungseinrichtungen und andere Unternehmen der Sozialwirtschaft haben sich auf der Zeche Zollverein zusammengefunden, um über das diesjährige Schwerpunktthema Solidarität zu diskutieren und sich auszutauschen. Frische Impulse bekamen sie dabei von namhaften Keynote-Speakern und Referenten, die das Thema in Impulsvorträgen und Panels aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten.

„Solidarität ist angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wichtiger denn je“, sagte Sirkka Jendis, Geschäftsführerin des Tafel Deutschland e.V., die gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Wolfgang Huber, dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie Mitglied des Deutschen Ethikrats, und dem KI-Experten Sascha Lobo bei der Auftaktveranstaltung am ersten Abend referierte. „Denn bei den Tafeln eint alle die Solidarität. Deshalb finde ich es wichtig und richtig, dass dieses Thema bei der Veranstaltung im Mittelpunkt steht.“ In ihrem Impulsvortrag gab sie tiefe Einblicke in ihre tägliche Arbeit bei den Tafeln, die sich in den zurückliegenden Jahren deutlich erschwert hat. Da die Zahl der Bedürftigen nicht zuletzt durch die Ukraine-Flüchtlinge deutlich gestiegen ist, fehlt es an Lebensmitteln, Locations, Zeit und ehrenamtlichen Helfern, ohne die die Arbeit der Tafeln gar nicht möglich wäre. Deshalb fordert sie eine Stärkung des Ehrenamts, das den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft nachhaltig fördert. Auch Wolfgang Huber betonte, dass Solidarität immer mit menschlicher Nähe verbunden ist. Denn selbst der perfekteste Sozialstaat mache das persönliche Eintreten für Ärmere und Schwächere nicht überflüssig.

 

KI-Transformation aktiv beeinflussen

Während sich die ersten beiden Keynote-Speaker auf die gelebte Solidarität in der Sozialwirtschaft konzentrierten, appellierte Sascha Lobo an die Kraft der Sozialwirtschaft: „Künstliche Intelligenz ist da. Es gibt also keine Alternative zur Auseinandersetzung damit. Und wer könnte mit den Möglichkeiten der KI mehr bewegen für unsere Gesellschaft als die Sozialwirtschaft? Packt es an!“ In seinem Impulsvortrag zeigte er anhand konkreter Beispiele die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Technologie in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft auf und entkräftete Vorurteile und Ängste, die durch die mediale Berichterstattung zu diesem Thema geschürt werden. Denn generative KI ist nicht nur für Menschen mit Behinderung ein Fortschritt, sondern auch eine effektive Lösung, um dem Fachkräftemangel erfolgreich zu begegnen und die Effizienz zu steigern. Nicht nur, dass sogenannte AI-Agents in der Pflege herkömmliche Pflegekräfte in unkritischen Bereichen ersetzen können. Darüber hinaus zeigte die Technologie auch ihre Vorteile in der Diagnostik, wo sie Patientenfragen besser als ausgebildete Ärzte beantworten konnte. Da sich die Entwicklung nicht mehr aufhalten lässt, empfiehlt er, sich intensiv mit der KI-Transformation zu befassen und sie aktiv zu beeinflussen. Denn die Zukunft wird hybrid und wenn die Maschine den Menschen in bestimmten Bereichen ersetzt, kann er sich auf andere Bereiche konzentrieren. 

 

Sozialökologische Transformation von Immobilien

Am zweiten Tag wurden die Themen Wohnen, Finanzierung sowie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in verschiedenen Panels beleuchtet. Zunächst gewährten verschiedene Experten einen Einblick in die aktuelle Situation des sozialen Wohnungsbaus und machten deutlich, wie schwer es ist, in Zeiten steigender Kosten, respektablen Wohnraum zu günstigen Konditionen bereitzustellen. Denn die Nachfrage übersteigt das Angebot trotz zahlreicher neuer Standorte bei weitem. Hinzu kommt, dass die Menschen aufgrund des steigenden Alters länger in ihren Wohnungen bleiben, die deshalb barrierefrei sein sollten. Neben dem fehlenden Angebot wird auch die Finanzierung des Wohnungsbaus immer schwieriger, der extrem hohen Standards unterliegt. Deshalb muss die Sozialwirtschaft in diesem Bereich langfristig alternative Finanzierungsformen wie in der privaten Pflege erschließen und kann sich nicht nur auf Bund und Kommunen verlassen. 

 

Transformation des Gesundheitswesens

Dies gilt auch für den Pflegebereich, der einem massiv steigenden Bedarf bei schwindenden Ressourcen gegenübersteht. Laut Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit nehmen derzeit rund 5,2 Millionen Menschen jeden Monat Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch – Tendenz massiv steigend. Doch während die Zahl der Bedürftigen kontinuierlich steigt, werden die Leistungen nicht an die Entwicklung angepasst. Viele Pflegebedürftige und ihre Familien bekommen keine oder erst sehr spät Unterstützung, was das genaue Gegenteil von Solidarität ist. Hier ist die Politik gefordert, kurzfristig Lösungen zu schaffen. Nicht nur, dass die Pflegeausbildung wieder attraktiver und leichter zugänglich gemacht werden muss. Darüber hinaus gilt es, das Gesundheitssystem zu transformieren und die Komplexität zu reduzieren, da es so langfristig nicht mehr finanzierbar ist. Denn es leidet an einem auf einer reinen Jahreslogik beruhenden Finanzierungs- und Vergütungssystem, bei dem Budgetdefizite von Krankenkassen, Vergütungsverhandlungen der Kostenträger mit den Leistungserbringern, Preisrabatte und Mengenvorgaben meistens einmal im Jahr ausgehandelt werden. Diese kurzfristigen, wirtschaftlich getriebenen Entscheidungen schränken den Zugang zu Leistungen massiv ein und gefährden die Qualität der Versorgung.

Da die Kosten trotz des medizinischen Fortschritts explodieren, brauchen wir einen Systemwechsel von einem Krankheits- zum Gesundheitssystem. Denn auch jeder Einzelne kann zur Entlastung der Systeme beitragen, indem er Präventionsangebote wahrnimmt und so mehr Eigenverantwortung trägt. Hinzu kommen die hohen regulatorischen Anforderungen, die die Effizienz und Entwicklungspotenziale in diesem Bereich ausbremsen. Darunter leidet die Versorgung der Patienten und treibt die Kostenträger an ihr Limit. Deshalb ist es unabdingbar, die Möglichkeiten der digitalen Transformation zu nutzen und eine neue Regulatorik zu etablieren, die den Blick nach vorne öffnet.

 

KI eröffnet neue Möglichkeiten

Denn klar ist, dass insbesondere KI der Sozialwirtschaft besondere Unterstützung bieten kann. Ob sie dabei als Förderer oder Verhinderer von Solidarität fungiert, hängt letztendlich immer davon ab, wie die Technologie eingesetzt wird. Denn es liegt in den Händen der Anwender, die positiven Eigenschaften zu nutzen und die negativen auszubremsen. Um das enorme Potenzial der digitalen Anwendungen für die Sozialwirtschaft zu verdeutlichen, wurden einige Entwicklungen vorgestellt, die ihre Vorteile bereits in der Praxis unter Beweis gestellt haben. So hat die Evangelische Heimstiftung im Rahmen ihrer Digitalstrategie ALADIEN (Alltagsunterstützende Assistenzsysteme mit Dienstleistungen) bereits verschiedene technische Hilfsmittel in ihren Arbeitsalltag integriert, die den Alltag der Bewohner von Seniorenresidenzen und im betreuten Wohnen deutlich vereinfachen. Die intelligenten Systeme erkennen Gefahren, erleichtern den Alltag und rufen im Notfall Hilfe. Auch der soziale Roboter Navel ist im Rahmen eines Pilotprojekts bereits im Einsatz und zeigt unter realen Bedingungen, was er für Menschen in Pflegeheimen leisten kann. Er ist innovativ und nutzt die Möglichkeiten von KI. Das Besondere an dem kleinen Roboter ist, dass er mit Menschen interagieren und ihre Gesichter, Stimmen und Bewegungen deuten kann. So schafft er mehr Gemeinschaft und erhöht das Wohlbefinden, indem er positive Emotionen auslöst. Mit der Zeit kann sich Navel Menschen merken, Gespräche führen und Witze erzählen und so die Lebensqualität der Menschen in Pflegeheimen erhöhen. Dadurch unterstützt er die Mitarbeitenden bei ihrer täglichen Arbeit, die er natürlich auch langfristig nicht ersetzen kann – denn Pflege ist und bleibt ein menschlicher Beruf. 

Da der ZukunftsKongress „Sozialwirtschaft managen“ auch in diesem Jahr wieder ein voller Erfolg war, geht er im kommenden Jahr in die Fortsetzung und findet am 21. und 22. Mai 2025 wieder auf der Zeche Zollverein statt.