Aufweichung der CMR-Haftungsgrenzen – rechtlich vorgesehene Möglichkeiten
Die „Standardhaftung“ der CMR, also die Haftungsbeschränkung des Art. 23 Abs. 3 CMR (8,33 SZR/kg), ist inzwischen in der Transportbranche kaum mehr ein Fremdwort. Weniger bekannt sind jedoch die Möglichkeiten, diese und andere CMR-Haftungsgrenzen einvernehmlich zwischen Auftraggeber und Frachtführer auszuweiten bzw. aufzuheben.
Im Wesentlichen sind diese in Art 24 und 26 CMR zu finden und bestehen in der Möglichkeit der Nennung eines bestimmten Wertes des Transportgut sowie in der Vereinbarung eines „besonderen Interesses“. Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Bestimmungen – wenn schon nicht redundant – dann zumindest überschneidend. Sie haben jedoch einen unterschiedlichen Anwendungsbereich und deutlich abweichende Rechtsfolgen.
– Artikel 24 CMRDer Absender kann gegen Zahlung eines zu vereinbarenden Zuschlages zur Fracht einen Wert des Gutes im Frachtbrief angeben, der den in Artikel 23 Absatz 3 bestimmten Höchstbetrag übersteigt; in diesem Fall tritt der angegebene Betrag an die Stelle des Höchstbetrages.
1. Die Wertangabe
Güterschäden; ist auch der Ersatz von Vermögensschäden gewünscht (zB der entgangene Gewinn oder der Ersatz für eine zwischen Absender und Empfänger vereinbarte Vertragsstrafe) muss auf die Interessensangabe nach Art 26 CMR zurückgegriffen werden.
Die Wertangabe nach Art 24 kommt in der Praxis jedoch nur vereinzelt zum Einsatz. Grund hierfür ist nicht nur der Umstand, dass bei besonders hochwertigen Gütern ohnehin oftmals eine eigene Transportversicherung abgeschlossen wird, sondern auch die Rechtsprechung der Gerichte: Je häufiger in der Judikatur ein grobes Verschulden festgestellt und die Haftungsbegrenzung durch Art 29 CMR durchbrochen wird, desto weniger macht es für einen Absender Sinn die besondere Wertangabe nach Art 24 zu vereinbaren. Oder etwas polemisch formuliert: Warum für die Aufhebung der Haftungsgrenzen einen Zuschlag bezahlen, wenn man diese oftmals auch zum Nulltarif bekommen kann?
Voraussetzung für die Wirksamkeit
Jedenfalls erforderlich ist eine entsprechende Vereinbarung zwischen Frachtführer und Auftraggeber. Diese muss in beidseitigem Einvernehmen erfolgen und kann nicht einseitig aufoktroyiert werden. Die Eintragung im Frachtbrief durch den Absender kann jedoch unter Umständen als Angebot an den Frächter verstanden werden – welches dieser wiederum wortlos annehmen kann. Bloßes Stillschweigen des Frachtführers stellt jedoch grundsätzlich noch keine Annahmeerklärung dar.
Auch darf ein Absender nicht davon ausgehen, dass ein durchschnittlicher LKW-Fahrer bevollmächtigt ist für den Frachtführer Vereinbarungen nach Art 24 zu treffen. Es ist daher nicht empfehlenswert sich eine solche Vereinbarung kurzfristig vom Fahrer abzeichnen zu lassen.
Weitere Voraussetzung für die rechtswirksame Wertangabe ist die Eintragung des Wertes im Frachtbrief. Diese ist nach dem Wortlaut des Art 24 CMR zwingend erforderlich und kann auch nicht durch eine Erwähnung in anderen Dokumenten (wie etwa in einem Rahmenvertrag) ersetzt werden. Leider gilt dies nur unter Vorbehalt – in einer ähnlichen Situation hat der OGH, ein in Österreich ansässiges Höchstgericht, bei einem internationalen Fall aus dem Luftfrachtrecht entschieden, dass die fehlende Wertdeklaration im (vom Spediteur ausgestellten) Frachtbrief die Rechtswirksamkeit nicht beeinflusst. Es bleibt zu hoffen, dass Tendenzen dieser Art nicht auf das Straßenfrachtrecht (Art 24/26 CMR) übergreifen.
Rechtsfolgen
Bei einer wirksamen Vereinbarung nach Art 24 CMR ersetzt der im Frachtschein angegebene Wert die Haftungsgrenzen der Art. 23 und 25 CMR. Begrenzt ist die Ersatzpflicht jedoch weiterhin durch den tatsächlich erlittenen Schaden!
Einer möglichen Bereicherung durch den Absender im Schadenfall wird damit ein Riegel vorgeschoben.
– Artikel 26 CMR1. Der Absender kann gegen Zahlung eines zu vereinbarenden Zuschlages zur Fracht für den Fall des Verlustes oder der Beschädigung und für den Fall der Überschreitung der vereinbarten Lieferfrist durch Eintragung in den Frachtbrief den Betrag eines besonderen Interesses an der Lieferung festlegen.
2. Ist ein besonderes Interesse an der Lieferung angegeben worden, so kann unabhängig von der Entschädigung nach den Artikeln 23, 24 und 25 der Ersatz des weiteren bewiesenen Schadens bis zur Höhe des als Interesse angegebenen Betrages beansprucht werden.
Während Art 24 die Möglichkeit bietet, für unmittelbare Schäden am Transportgut, durch die Deklaration eines höheren Wertes die betragsmäßigen Haftungsgrenzen der Art 23, 25 CMR auf den vereinbarten Betrag anzuheben, ermöglicht die Interessensdeklaration nach Art 26 CMR den Ersatz von entgangenen Gewinn sowie mittelbaren Schäden. Begrenzt ist die Ersatzpflicht des Frachtführers – analog zu Art. 24 – durch die Wertangabe.
Voraussetzung für die Wirksamkeit
Es gelten die gleichen Voraussetzungen wie für Art 24; insbesondere also ein beidseitiges Einvernehmen sowie die die Eintragung im Frachtbrief.
Rechtsfolgen
Wird ein besonderes Interesse rechtswirksam vereinbart hat dies zur Folge, dass auch außerhalb des Art 29 CMR („grobes Verschulden“) bis zur Höhe des deklarierten Interesses sämtliche Schäden zu ersetzen sind. Welche das allerdings im Einzelfall genau sind, wird durch die CMR nicht geregelt. Für eine solche Beurteilung ist daher das anwendbare nationale Recht heranzuziehen.
In den meisten europäischen Rechtsordnungen sind im Fall von Verlust, Beschädigung oder Lieferfristüberschreitung auch sogenannte bloße Vermögensschäden sowie Folgeschäden zu ersetzen.
Dabei ist aber zu beachten: Die Deklaration eines besonderen Interesses ist keine pauschalierte Vertragsstrafe! Der Anspruchsberechtigte kann nur den Ersatz für tatsächlich erlittenen und bewiesenen Schaden verlangen.
Fazit
Die beiden Haftungsvarianten mögen zwar – bedingt auch durch die strengen Wirksamkeitsvoraussetzungen – nur vereinzelt herangezogen werden, als Spezialmakler der transportierenden Wirtschaft werden wir nichtsdestotrotz von unseren Kunden immer wieder mit dem Wunsch konfrontiert, Deckungslösungen für diese Haftungsrisiken zu finden.
Solche Versicherungsprodukte sind am Markt verfügbar und bei Vereinbarungen nach Art 24, 26 für einzelnen Aufträge bzw. Kooperationen ist es auch durchaus sinnvoll dieses zusätzliche Risiko ebenfalls zu versichern.
Unsere Empfehlung ist jedoch, sich als Frächter/Spediteur vorab möglichst umfassend über die besonderen Haftungsvereinbarungen zu informieren und die in Aussicht gestellten Zuschläge mit den höheren Haftungsrisiken abzuwägen. Ziel der „Standard-Haftung“ der CMR ist es insbesondere die Frachtführer vor dem Druck der transportierenden Wirtschaft zu schützen. Diese wurden dabei – mit Blick auf die üblichen Margen in der Transportbranche – nicht ohne Grund in der immer noch geltenden Höhe gewählt.
Auch der Abschluss einer Versicherung kann dabei die erforderliche wirtschaftliche Abwägung nicht ersetzen, das höhere Risiko schlägt sich naturgemäß deutlich auf die Prämienhöhe nieder. Eine pauschale Versicherung von Vereinbarungen nach der Art 24 und 26 ist für den betroffenen Frächter/Spediteur erfahrungsgemäß oftmals wirtschaftlich nicht vorteilhaft.
Weiter Unterstützung zu diesem Thema finden Sie im Team der Lutz Assekuranz Versicherungsvermittlung GmbH. Erfahrene Spezialisten, die Sie tatkräftig unterstützen, um einerseits eine kompetente Argumentation gegenüber den Beteiligten zu gewährleisten sowie andererseits durch bestmögliche Deckungskonzepte eine umfassende Absicherung sicherzustellen.