
Fürsorgepflicht im Fokus - prüfen Sie jetzt die Risiken von Auslandseinsätzen
Frau Schaefer, vor dem Landgericht Berlin wird ein aufsehenerregender Prozess verhandelt: Ein ehemaliger Mitarbeiter einer NGO hat die Organisation auf Schadensersatz verklagt, nachdem er bei einem Auslandseinsatz entführt und in einem Foltergefängnis festgehalten wurde. Welche Bedeutung hat dieser Fall für andere Organisationen, die Mitarbeitende ins Ausland entsenden?
Nina Schaefer: Zunächst einmal zeigt dieser Fall, wie hoch das Risiko bei bestimmten Einsätzen tatsächlich sein kann – und wie existenziell die Frage der Absicherung wird. Was uns Sorgen bereitet, ist die Möglichkeit, dass ein für die NGO positives Urteil – etwa, weil die Klage abgewiesen wird – von anderen Organisationen als Freibrief interpretiert werden könnte, ihre Verantwortung zu relativieren. Das wäre ein Trugschluss.
Warum wäre das aus Ihrer Sicht so problematisch?
Nina Schaefer: Weil jedes Gerichtsurteil auf den konkreten Einzelfall abstellt – auf Vertragsinhalte, Informationslagen, Risikobewertungen und Entscheidungsprozesse zum Zeitpunkt des Einsatzes. Selbst wenn ein Gericht zugunsten der Organisation urteilt, bedeutet das nicht automatisch, dass die generelle Rechtslage geschwächt ist. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bleibt bestehen – insbesondere bei Entsendungen in Krisen- oder Konfliktregionen.
Was heißt das konkret für NGOs?
Nina Schaefer: Das bedeutet, dass sie weiterhin verpflichtet sind, angemessene Maßnahmen zur Risikominimierung zu treffen: von der sicherheitsbezogenen Vorbereitung über das Krisenmanagement bis zur geeigneten Absicherung über Versicherungen. Selbst wenn ein Gericht im konkreten Fall keine Pflichtverletzung sieht, wäre es falsch, daraus zu schließen, dass gar keine Verantwortung besteht. Im Gegenteil: Organisationen, die Risiken systematisch analysieren und vorsorgen, sind nicht nur rechtlich auf der sichereren Seite – sie handeln auch ethisch verantwortungsvoll gegenüber ihren Mitarbeitenden.
Was ist „angemessen“ – und wie lässt sich das in der Praxis bestimmen?
Nina Schaefer: „Angemessen“ richtet sich immer nach dem konkreten Risiko und der Zumutbarkeit. In einem stabilen Nachbarland gelten andere Maßstäbe als in einem Bürgerkriegsgebiet. Deshalb ist eine individuelle Risikobewertung so wichtig – idealerweise vor jeder Entsendung. Wir unterstützen Organisationen dabei mit Risikoanalysen, Reiserichtlinien, Notfallplänen und passendem Versicherungsschutz.

– Nina Schaefer, Head of Travel Risk, Ecclesia GruppeWer Mitarbeitende ins Ausland entsendet – ob kurzfristig oder langfristig – sollte regelmäßig seine Sicherheits- und Absicherungsprozesse überprüfen.
Was genau ist unter der Fürsorgepflicht zu verstehen – und wie weit reicht sie bei Auslandseinsätzen?
Nina Schaefer: Die Fürsorgepflicht ist in § 618 BGB geregelt und wird durch arbeitsrechtliche Verordnungen und Urteile konkretisiert. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass Beschäftigte nicht unnötigen Gefahren ausgesetzt sind – auch bei Auslandseinsätzen. Das umfasst unter anderem Information, Schulung, Sicherheitseinweisungen, Krisenprävention und Absicherung. Je höher das Risiko im Einsatzland, desto höher die Anforderungen an die Organisation.
Sie beraten NGOs genau in diesen Fragen. Was raten Sie derzeit?
Nina Schaefer: Wichtig ist, jetzt nicht in eine trügerische Sicherheit zu verfallen. Wer Mitarbeitende ins Ausland entsendet – ob kurzfristig oder langfristig – sollte regelmäßig seine Sicherheits- und Absicherungsprozesse überprüfen: Sind die Reiserichtlinien aktuell? Gibt es klare Abläufe für Notfälle? Welche Versicherungen greifen wann? Und ganz zentral: Wie ist die interne Kommunikationskultur – können Mitarbeitende Risiken offen ansprechen, ohne Druck?
Was genau leistet Travel Risk in diesem Zusammenhang?
Nina Schaefer: Wir verstehen uns als Partner für ganzheitliche Reisesicherheit. Neben der Beratung zu klassischen Versicherungen – wie etwa Auslandsreise-Krankenversicherung, Krisenschutz oder Kidnap & Ransom – begleiten wir unsere Kunden auch bei der Struktur ihrer internen Abläufe: von Reiserichtlinien über Alarmpläne bis zur Schulung der Mitarbeitenden. Wichtig ist, dass im Ernstfall alle Beteiligten wissen, was zu tun ist.
Gibt es eine einfache Möglichkeit für NGOs, den eigenen Status Quo zu überprüfen?
Nina Schaefer: Ja – und wir empfehlen dringend, das regelmäßig zu tun. Schon mit ein paar gezielten Fragen lässt sich schnell ein erster Eindruck gewinnen:
Gibt es aktuelle Reiserichtlinien?
Ist ein Notfall- oder Evakuierungsplan vorhanden?
Welche Versicherungen greifen im Krisenfall?
Gibt es eine offene Kommunikationskultur im Umgang mit Sicherheitsrisiken?
Wenn auf eine oder mehrere dieser Fragen keine klare Antwort möglich ist, besteht Handlungsbedarf.
Gibt es aus Ihrer Sicht auch eine Signalwirkung des oben genannten Falls?
Nina Schaefer: Ja – der Fall macht öffentlich sichtbar, was wir intern oft beobachten: dass Sicherheitsfragen häufig zu spät, zu unklar oder zu pauschal geregelt sind. Ich hoffe, dass er als Weckruf verstanden wird, nicht als Entwarnung. Organisationen dürfen sich nicht auf eine juristische Grauzone verlassen, sondern sollten aktiv für Schutz und Vorsorge sorgen. Das ist nicht nur juristisch, sondern vor allem menschlich geboten.
Und wie geht es in dem konkreten Fall weiter?
Nina Schaefer: Das Urteil vor dem Landgericht Berlin wird für Oktober 2025 erwartet. Wir beobachten die Entwicklung sehr genau – und raten unseren Kunden, die Zeit bis dahin zu nutzen, um die eigenen Prozesse und Schutzmaßnahmen kritisch zu prüfen. Denn unabhängig vom Ausgang des Verfahrens: Die Verantwortung für Sicherheit bleibt – immer.
Checkliste für sichere Auslandseinsätze:
Wie gut ist Ihre Organisation vorbereitet?
- Gibt es aktuelle Reiserichtlinien?
- Liegt ein Notfallplan vor?
- Welche Versicherungen greifen im Ernstfall?
- Können Mitarbeitende offen über Risiken sprechen?
Zivilrechtlicher Grundpfeiler des Arbeitsschutzes:
§ 618 BGB gilt auch im Ausland
Der § 618 BGB verpflichtet Arbeitgeber wie Unternehmen und Institutionen zur Umsetzung angemessener Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und stellt einen zentralen Bestandteil des zivilrechtlichen Arbeitsschutzes dar. In der praktischen Umsetzung wird diese Pflicht durch das öffentliche Arbeitsschutzrecht konkretisiert. Das Arbeitsschutzgesetz verlangt unter anderem die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen, die Anpassung von Schutzmaßnahmen sowie die Überprüfung ihrer Wirksamkeit. Auch bei Dienstreisen und Entsendungen ins Ausland bleibt die Fürsorgepflicht bestehen. Arbeitgeber sind verpflichtet, die Risiken am Einsatzort systematisch zu ermitteln, zu bewerten und geeignete Schutzmaßnahmen zu organisieren – von medizinischer Vorsorge über Unterweisungen bis hin zu Notfall- und Evakuierungsplänen. Der Umfang der Schutzmaßnahmen richtet sich nach Faktoren wie Einsatzland, Aufenthaltsdauer, Gefährdungslage und vorhandener Organisationserfahrung.