Top Themen Branchen Soziales Gesundheit Hebammen

Hebammengeleiteter Kreißsaal und HKS+-Zertifikat: Vera Triphaus und Kathrin Eichhorn im Interview

Die Geburtshilfe in Deutschland befindet sich weiter im Wandel. Immer mehr Kliniken setzen auf hebammengeleitete Kreißsäle – ein Modell, das auf Selbstbestimmung, Vertrauen und individuelle Betreuung setzt. Im Mittelpunkt stehen die Frau und das Kind, begleitet von einer Hebamme, die nur eingreift, wenn es notwendig ist. Die zur Ecclesia Gruppe gehörende GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung hat gemeinsam mit dem Deutschen Hebammenverband (DHV) ein Zertifizierungsverfahren entwickelt, das die Qualität und Sicherheit dieser besonderen Geburtsbetreuung überprüft und sichtbar macht.
Im Interview sprechen Vera Triphaus, Risikoberaterin bei der GRB, und Kathrin Eichhorn, leitende Hebamme im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale), über ihre Erfahrungen mit dem Hebammenkreißsaal, die Veränderungen im Team, die Bedeutung der Zertifizierung HKS+ – und darüber, was es heißt, eine Geburt zu begleiten.

Frau Eichhorn, was hat sich seit der Einführung des hebammengeleiteten Kreißsaals verändert?

Kathrin Eichhorn: Wir haben uns wieder intensiver mit den Möglichkeiten beschäftigt, wie Hebammen Frauen begleiten können – und zwar mit natürlichen Mitteln. Nicht nur mit Wehentropf und Schmerzmitteln, sondern mit Methoden, die das Geburtserlebnis möglichst schön und interventionsarm gestalten. Das hat nicht nur bei den Frauen etwas bewegt, sondern auch im Team. Wir betrachten Geburten heute anders – wir begleiten sie, wir führen sie nicht durch.

 

Gab es auch Widerstände im Team?

Kathrin Eichhorn: Ja, die gab es. Am Anfang waren nicht alle überzeugt. Ein Drittel war begeistert, ein Drittel skeptisch und der andere Teil eher ablehnend. Aber wir haben gemeinsam das Projekt gestemmt. Die Skeptiker haben gesehen, wie schön diese Form der Betreuung ist, weil die Mutter und das Kind im Mittelpunkt stehen.

 

Frau Triphaus, wie sehen Sie die Veränderung im Selbstverständnis der Hebammen?

Vera Triphaus: Das Selbstverständnis hat sich stark gewandelt. Früher hieß es: Die Hebamme macht die Geburt. Heute geben wir das Primat der Geburt an die Frau zurück. Die Hebamme ist die erste Ansprechpartnerin, sie begleitet, sie stärkt – aber sie führt nicht. Das ist ein großer Veränderungsprozess, der durch den Hebammenkreißsaal angestoßen wurde.

 

Wie funktioniert die 1:1-Betreuung konkret? Ist die Hebamme die ganze Zeit bei der Frau?

Kathrin Eichhorn: Ja, wenn es der Frau wichtig ist. Natürlich respektieren wir auch ihre Intimsphäre. Aber wenn die Geburt fortschreitet, bin ich dauerhaft bei ihr. Ich sage dann: „Ich bin jetzt hier und gehe erst wieder raus, wenn das Baby da ist.“
Vera Triphaus: Die Hebamme hat die zeitlichen Ressourcen, bei der Frau zu bleiben. In einem interdisziplinären Kreißsaal ist das oft nicht möglich, weil viele Aufgaben gleichzeitig erledigt werden müssen. Im Hebammenkreißsaal ist die Betreuung sehr individuell.

 

Für welche Gruppen von Schwangeren ist dieses Modell geeignet?

Vera Triphaus: Für alle gesunden Frauen mit einem normalen Schwangerschaftsverlauf. Sobald medizinische Risiken auftreten, greifen definierte Übergangsmechanismen zur ärztlichen Betreuung. Die Hebamme bleibt aber auch dann oft als Begleiterin an der Seite der Frau.

 

Wie wird die Sicherheit für Mutter, Kind und Hebamme gewährleistet?

Kathrin Eichhorn: Durch die Hebammengespräche in der Schwangerschaft entsteht Vertrauen. Gleichzeitig überprüfen wir regelmäßig die Gegebenheiten, ob eine Geburt im Hebammenkreißsaal möglich ist. Die Frauen kennen die Abläufe, die Räume, oft auch schon die Hebammen – das schafft Sicherheit und Geborgenheit. Und auch im Team entsteht Sicherheit. Wir wissen, was die andere denkt, was als Nächstes zu tun ist. Das passiert, weil wir unsere Prozesse regelmäßig reflektieren – durch Fallbesprechungen, Kriterienkataloge, gemeinsame Standards.

 

Warum ist für Frauen die Betreuung im Hebammenkreißsaal so wichtig?

Kathrin Eichhorn: Die Frauen schätzen die natürliche Geburt und die Begleitung durch die Hebamme. Sie wollen Sicherheit im Hintergrund, aber vor allem eine individuelle Betreuung.

 

Wie hat sich die Nachfrage seit der Einführung entwickelt?

Kathrin Eichhorn: Sie steigt stetig. Immer mehr Frauen entscheiden sich bewusst für den Hebammenkreißsaal. Das zeigt, wie wichtig dieses Angebot ist und wie sehr es gebraucht wird.

 

Was bedeutet die Zertifizierung durch die GRB für Ihr Haus?

Kathrin Eichhorn: Die Zertifizierung hat uns geholfen, unsere Abläufe zu überprüfen und zu verbessern. Man denkt, man macht alles gut – und dann bekommt man Hinweise, wo man sich noch weiterentwickeln kann. Das war sehr gewinnbringend. Die Zertifizierung ist ein Qualitätssiegel, das Vertrauen schafft – bei den Frauen, im Team und in der Öffentlichkeit. Sie zeigt, dass wir Geburtshilfe auf hohem Niveau anbieten und die Rolle der Hebamme ernst nehmen.
Vera Triphaus: Der Zertifizierungsprozess ist kein Abhaken von Richtlinien, sondern ein partnerschaftlicher Dialog. Wir geben Impulse, um die Prozesse zu verbessern und sprechen miteinander und reflektieren gemeinsam.

 

Welche Kriterien mussten Sie erfüllen, um die Zertifizierung zu erhalten?

Kathrin Eichhorn: Es gibt einen klaren Risiko- und Selektionskatalog vom DHV, der unter anderem die 1:1-Betreuung, definierte Übergangsregeln zur ärztlichen Versorgung und regelmäßige Fallbesprechungen umfasst. Wir mussten unsere Abläufe, Schnittstellen und Dokumentationen überprüfen und teilweise anpassen. Das war intensiv, aber sehr gewinnbringend.

 

Welche Leistungen bietet die GRB in diesem Zusammenhang an?

Vera Triphaus: Die GRB begleitet Kliniken durch den gesamten Zertifizierungsprozess für hebammengeleitete Kreißsäle. Wir führen Audits durch, beraten zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards, unterstützen bei der Prozessreflexion und fördern die interprofessionelle Zusammenarbeit. Ziel ist es, die Betreuung durch Hebammen strukturell zu stärken und sichtbar zu machen. Dabei orientieren wir uns an den definierten Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, den anerkannten fachgesellschaftlichen Empfehlungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, um die Sicherheit für die Hebammen zu gewährleisten.

 

Abschließend: Was macht den Hebammenkreißsaal für Sie persönlich besonders?

Kathrin Eichhorn: Es ist ein Gewinn für alle – für die Frauen, für die Hebammen, für die Ärztinnen und Ärzte. Wir arbeiten auf Augenhöhe, teilen Ressourcen, vertrauen einander. Das macht unsere Arbeit nicht nur sicherer, sondern auch erfüllender.
Vera Triphaus: Vertrauen, Verantwortung und Veränderung – das sind die Säulen, auf denen der Hebammenkreißsaal steht. Wir von der GRB können hier unsere Expertise im Bereich Risikomanagement, Patientensicherheit und Haftung einbringen, sodass alle Beteiligten ein sicheres Gefühl haben.

 

Das HKS+-Zertifikat ist eine Bestätigung unserer Arbeit – und ein Ansporn, weiter zu reflektieren und zu verbessern. Die Zertifizierung hat unser Team gestärkt und unsere Haltung zur Geburtshilfe vertieft.

– Kathrin Eichhorn

Sicherheit in der Geburtshilfe entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen, klare Prozesse und gelebte Verantwortung. Unsere Aufgabe in der Risikoberatung ist es, Strukturen zu schaffen, die Frauen und Hebammen stärken und gleichzeitig die Patientensicherheit auf ein neues Niveau heben.

– Vera Triphaus