
Reformen für Gesundheit, Pflege und Sozialwirtschaft
Gesundheit: Zwischen Reformbedarf und Prüfauftrag
Die positive Nachricht zuerst: Der Reformbedarf ist erkannt. Das betrifft insbesondere die Teilbereiche Finanzierung und Krankenhausreform. Eine Expertenkommission soll bis 2027 Vorschläge für eine grundlegende Beitragsreform vorlegen. Praktikern geht das jedoch nicht weit genug. Jens Baas, Chef der Techniker-Krankenkasse, sagt: „Die Expertengruppe werde die Beitragsspirale ebenso wenig stoppen wie vage Absichtserklärungen. Es braucht ein wirksames Sofortprogramm. Vorschläge dafür liegen bereits auf dem Tisch.“
Erhöhte Ausgaben sollen bis zur Beitragsreform durch mehr Beschäftigung und Einsparungen ausgeglichen werden. Fraglich ist jedoch, ob dies angesichts des prognostizierten Niedrigwachstums in den kommenden Jahren reichen wird. Der BKK-Dachverband kritisiert die Pläne deshalb als „Konjunkturluftschloss“. Für Ärger sorgt zudem, dass Ausgleichsfinanzierungen in Höhe von zehn Milliarden Euro für GKV-versicherte Bürgergeldempfänger aus dem finalen Koalitionsvertrag gestrichen wurden.
Auch bei der stationären und sektorübergreifenden Versorgung sind Änderungen geplant. Sektorenunabhängige Fallpauschalen sollen weiterentwickelt werden. Konkrete Details fehlen jedoch. Die Krankenhausreform soll weitergeführt und Änderungen am Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) bis Sommer 2025 umgesetzt werden. Das Ziel: eine bessere Grund- und Notfallversorgung, vor allem im ländlichen Raum.
Konkretere Änderungen betreffen etwa die Anzahl der Leistungsgruppen. Deren Anzahl sinkt von derzeit 65 auf 61. Auch die Vorgaben für Leistungsvorschriften sollen teilweise geändert werden. Die Einführung einer Vorhaltefinanzierung wird um ein Jahr gestreckt. Die Barmer lobt diesen Schritt und kritisiert: „Die bisherigen Fristen waren wenig praxistauglich.“
Pflege: Viel Gespräch, wenig Konkretes
Auch bei der Pflege bleibt der Koalitionsvertrag zurückhaltend. Langfristige Impulse fehlen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll bis 2025 Eckpunkte für eine Pflegereform entwickeln. Diese soll eine nachhaltige Finanzierung sichern und Leistungen besser bündeln. Die DAK kritisiert das Fehlen zielgerichteter Instrumente und warnt von einem „Beitrags-Tsunami“, falls die Reform nicht schnell angepackt werde.
Um kurzfristig Abhilfe im System zu schaffen, sollen deshalb Projekte der alten Ampelregierung in Form des Pflegekompetenzgesetzes und der Einführung von „Advanced Practice Nurses“ umgesetzt werden. Auch das Familienpflegezeitgesetz soll weiterentwickelt werden. Ein Familienpflegegeld wird zumindest geprüft.
Neue Spitze im Gesundheitsministerium: die Überraschungskandidatin
Umsetzen soll die Pläne die neue Gesundheitsministerin Nina Warken. Die Innenpolitikerin und Juristin aus Baden-Württemberg gilt als Überraschung im neuen Kabinett. Mit gesundheitspolitischen Themen hatte sie bislang nichts zu tun. Unterstützt wird sie in ihrem Amt von zwei erfahrenen Gesundheitspolitikern, Tino Sorge und Georg Kippels, die als Parlamentarische Staatsekretäre arbeiten werden.
Dennoch fällt das Feedback zu Nina Warken positiv aus. Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK-Dachverbands, etwa äußert optimistische Erwartungen: „Nina Warken könnte eine realistische Vorhabenplanung in Gang setzen und nachvollziehbare Prioritäten für eine ganze Legislaturperiode festlegen.“
Sozialwirtschaft: Breites Maßnahmenpaket geplant
Insbesondere im Bereich von Lohnentwicklung, Fachkräftemobilisierung und Arbeitsrecht plant die neue Regierung Änderungen. Bis 2026 soll etwa der Mindestlohn auf 15 Euro steigen. Ein entsprechender Vorschlag wird von einer „starken und unabhängigen“ Mindestlohnkommission erarbeitet, die sich an der Tarifentwicklung sowie an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren soll. Die Caritas kritisiert diese Pläne: „Die geplante Zielvorgabe ist hochproblematisch, schwächt die Unabhängigkeit der Kommission und verengt die tarifautonome Lohnfindung erheblich.“
Um den Arbeitsmarkt zu stärken und Fachkräfte zu gewinnen, setzt die Koalition auf einen Mix aus finanziellen Anreizen und qualifizierter Einwanderung. Arbeitgeber sollen Prämien für die Umwandlung von Teilzeit- in Vollzeitstellen erhalten. Überstundenzuschüsse sollen steuerfrei werden. Ältere Arbeitnehmer möchte die Regierung aktivieren, in dem Gehälter bis 2.000 Euro pro Monat für Rentner steuerfrei gestellt werden.
Im Bereich Einwanderung soll eine „Work-and-Stay-Agentur“ zur Beschleunigung von Anerkennungsverfahren für Berufsqualifikationen eingerichtet werden. Die Caritas begrüßt die Strategie als wichtigen Ansatz, „um Arbeitskräftepotenziale im Kontext des demografischen Wandels zu mobilisieren“.
Darüber hinaus sollen Arbeitszeiten flexibilisiert werden. Statt einer täglichen ist eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geplant. Zudem möchte die neue Regierung die digitale Arbeitszeiterfassung. Zur sozialverträglichen Umsetzung der Pläne ist ein Sozialpartner-Dialog vorgesehen. Ein geplanter Eingriff in das kirchliche Arbeitsrecht wurde aus dem finalen Koalitionsvertrag gestrichen.
Ehrenamt: Stärkung und Entlastungen geplant
Die neue Regierung möchte besonders das Ehrenamt stärken: Durch ein umfassendes Bürokratieabbaugesetz sollen Vereine und ehrenamtliches Engagement entlastet und das Ehrenamt insgesamt attraktiver gemacht werden. Dafür soll es einen „Zukunftspakt Ehrenamt“ geben, der unter anderem Haftungsfragen klärt sowie das Datenschutz-, Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht vereinfacht und die Freigrenzen für ehrenamtliche Tätigkeiten erhöht. Politische Rückendeckung erfährt das Ehrenamt durch die Einrichtung einer Staatsministerin für Sport und Ehrenamt im Bundeskanzleramt. Das Amt übernimmt die CDU-Politikerin Christiane Schenderlein.
Fazit: Entscheidend werden einzelne Gesetzesvorhaben
Der Koalitionsvertrag liefert gerade im Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik viele Zielbilder – doch zwischen politischem Willen und der Ankündigung konkreter Maßnahmen klafft weiterhin eine große Lücke. Ob aus den Prüfaufträgen am Ende tiefgreifende Reformen entstehen, bleibt offen. Für die Sozialwirtschaft und das Ehrenamt verspricht der Koalitionsvertrag hingegen spürbare und konkrete Verbesserungen. Ob die praktischen Umsetzungen den hohen Erwartungen gerecht werden, bleibt jedoch abzuwarten. Es kommt deshalb auf die konkreten Gesetzesvorhaben an. Kommende Gesetze gilt es deshalb frühzeitig zu beobachten, um auf mögliche Änderungen vorbereitet zu sein.